Mikroliteratur: Retrogrades Schreiben und Erzählen

Texte, die in Socialmedia-Plattformen veröffentlicht werden, werden dort in der Regel in der zeitlichen Reihenfolge ihres Erscheinens auf den jeweiligen Profilen angezeigt. So stehen die zuletzt veröffentlichten  Textbeiträge auf einer Profilseite zuoberst, die älteren Postings hingegen am Ende.

Sofern wir einen längeren Text über mehrere Postings verteilt veröffentlichen und dabei zunächst den Anfang des Textes posten würden und dessen Ende am Schluss, würde auf unserer Profilseite das Textende am Anfang erscheinen, der Textanfang am Ende.

Soll der Text jedoch in seiner ursprünglichen Form und Textfolge von oben nach unten zu scrollen und lesbar sein, müssen wir seine einzelnen Sequenzen in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge veröffentlichen.

Ist ein Text bereits fertig erstellt, stellt sich hier nur die Frage, in wie viele, wie große und welche Abschnitte genau unterteilt der Text veröffentlicht werden soll. Dies gilt gleichermaßen für längere wie für mikroliterarische Textformen.

Handelt es sich aber um einen Text, der sich noch im Entstehen befindet, etwa eine Erzählung, deren einzelne jeweils fertigwerdende Textpassagen in Echtzeit veröffentlicht werden, wird ein Text nicht nur von seinem Ende her veröffentlicht, sondern vielmehr auch aus dessen Ende heraus entwickelt.

Nicht der Anfang des Textes sucht nach seinem Ende, sondern sein Ende nach dessen möglichem Anfang: Er wird retrograd erzählt.

Wir sprechen in diesem Zusammenhang von retrogradem Schreiben und Erzählen und von retrograden Erzählweisen (retrograde writing and telling, retrogade narratives).

Ein Gedanke zu „Mikroliteratur: Retrogrades Schreiben und Erzählen

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