Mikropoetisches Manifest

Sprache ist kein Abbild der Wirklichkeit, sondern ein Weg, um diese möglich zu machen.

Sprache schafft Wirklichkeit. Wo ihre Dekonstruktion nicht mehr Mittel und Werkzeug ist, um die Möglichkeiten unseres sprachlichen Handelns zu erweitern, sondern Selbstzweck  wird, wird sie zu einer stilisierten Überschreitung, einem letztendlich in sich selbst kreisenden Phänomen und auf halbem Wege beendeten Experiment.

Wenn wir stattdessen von Entkoppelung, von Entknüpfung und Störung sprechen, geht es uns dabei nicht primär um den Bruch mit bestehenden Regeln. Es geht vielmehr darum diese dort aufzuheben, wo sie uns daran hindern, einen vorhandenen sprachlichen Raum zu erweitern und uns Zugang dazu zu verschaffen.

Mikropoesie, ganz egal ob wir ihr auf den Seiten von Zeitschriften oder Büchern begegnen, in den rauschenden Timelines sozialer Netzwerke oder aber auf Häuserwände gesprüht, stellt Beziehungen her: Sie zeigt Wirkliches und Erdachtes und verweist uns dabei auf das Mögliche oder unmöglich Scheinende an dessen Säumen und Rändern.

Mikropoetische Texte bestehen mitunter aus einem einzelnen Satz oder Halbsatz, oder nur einem einzigen Wort, das allein und für sich steht.

Sie verweisen uns auf das Wort in seiner Möglichkeit und Valenz, Bindungen einzugehen und dabei Moleküle mit anderen zu bilden.